
Wie funktioniert’s?
Was tut die da?
Arbeitsabläufe nischiger Branchen sind oftmals ein Rätsel und die Realität ist von der Vorstellung weit entfernt. Zeit für ein wenig Aufklärungsarbeit!
Vorstellung vs. Realität
In der Kalligraphie spielt sich viel mehr hinter den Kulissen ab als man sich das als Auftraggeber:in vorstellen kann. An Hilfslinien und die Wichtigkeit geordneter Listen denken die Wenigsten.
Wie stellen Sie sich vor, dass ein Auftrag bei der Kalligraphin abgewickelt wird?
Wir übergehen jetzt mal die ganze Präambel – Auftragserteilung, Nachfragen, wer stellt was, wann und wo muss was fertig sein, welche Farbe, Papier, Schriftstil … Das soll nochmal ein eigener Post werden.
Die Vorstellung
Die Kalligraphin hat einen Stapel handschriftlicher Einladungen, auf denen Namen geschrieben werden sollen. Sie setzt sich hin, nimmt die Feder zur Hand und schreibt drauf los. Das ist doch total einfach und kann gar nicht so lange dauern und warum ist Kalligrafie so teuer?!
Die Realität: Vor- und Nacharbeit > Schreibarbeit
Die meiste Arbeit ist nicht das schlichte Einladungen von Hand beschriften. Auch wenn das der Teil ist, den ich am liebsten mag. Die Feder gleitet über das Papier, wunderbare Schrift entsteht. Doch bevor es soweit ist, kommt noch einiges dazu.
Das Material
Bevor die Schreibarbeit beginnt, muss erst einmal das Material getestet werden. Das Zusammenspiel von Feder, Tinte und Papier ist die halbe Miete. Sonst könnte ja auch der Praktikant mit dem Kugelschreiber ran. Ist das Papier glatt oder strukturiert? Sind die Poren geöffnet oder geschlossen? Je nachdem wird auch das Schreibmedium gewählt. Wähle ich sehr feine Feder, die vielleicht in den Fasern hängen bleibt aber dafür ein sehr elegantes Schriftbild erzeugt? Oder lieber die robustere, die besser gleitet aber dafür mehr Tinte an das Papier abgibt, was wiederum zu Ausbluten führen kann? Passt eine seidenmatte Tinte mit der angenehm zu schreiben ist, oder müssen die Poren des Papiers durch das Schreibmedium zugeklebt werden um nicht zu verlaufen und ich wähle deshalb Gouache? All diese Fragen müssen beantwortet werden – durch Tests.
Die Ausrichtung
Der Name soll schön zentriert auf dem Papier sitzen und alle Namen sollen gleichmäßig aussehen – egal ob Ihre Hoheit Anna-Katharina Prinzession von und zu Oberbader-Schinkhofen oder Frau Lisa Toth geschrieben wird. Also grüble ich, welche Schriftgröße geeignet ist. Und dann wieder, welche Feder die optimale Strichstärke dafür hergibt. Das Papier wird ausgemessen und ich erstelle einen Linienspiegel – meistens zwei, für einzeilige und für zweizeilige Namen (ich möchte mal sehen, wie die gute Prinzessin Anna-Katharina sich in einer Zeile ausgeht). Im Optimalfall ist das Papier hell und dünn genug, dass ich diesen Linienspiegel dann auf das Lightpad lege und die Einladungen darauf – so sehe ich auf jeder Karte die Linien durchscheinen. Ist das nicht der Fall, weil das Papier dunkel, farbig oder sehr dick ist, dann muss ich auf jeder Karte zumindest eine Grundlinie mit dem Bleistift vorzeichnen.
Die Liste
Ich gehe jetzt davon aus, dass ich die Namensliste schön formatiert in einer leserlichen Schriftgröße mit den Namen so, wie sie geschrieben werden sollen, bekommen habe. Ich lege sie zurecht und dann endlich – die Schreibarbeit beginnt!
Die Abnahme
Das erste Testexemplar wird geschrieben, ein Foto an die Kund:in versandt. Nach der Abnahme ist es dann soweit …
Die Beschriftung
Endlich – ich schreibe! Wenig überraschend mein Lieblingsteil des Auftrages. Komplizierte Namen schreibe ich mit dem Bleistift vor, damit sie zentriert sitzen. Manchmal gleiche ich mit einem Schnörkel am Anfang oder am Ende des Wortes aus, dass ich mit Augenmaß nicht perfekt zentriert habe. Im Optimalfall habe ich noch ein paar Extrakarten, dass ein Verschreiber oder ein zu weit rechts gesetzter Name neu geschrieben werden kann.
Die Liste – schon wieder
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Auch wenn ich 700 Namen schreibe, kontrolliere ich jeden einzelnen noch einmal. Ich streiche nicht einfach nur ab, ich farbkodiere. Grün: Passt. Gelb: Wenn noch Einladungen übrig sind, mache ich das nochmal in schön. Rot: Fehler gemacht. Mensch, nicht Maschine. Wird korrigiert!
Was vergessen?
Bei der Prinzessin sind noch die Bleistiftlinien auf der Karte. Bei anderen Aufträgen gilt es, bei 286 Platzkarten die Bleistiftlinien auszuradieren. Wie lange, glauben Sie, dauert sowas? 🙂
Und dann …
Die Karten sind beschriftet. Fein säuberlich werden sie verpackt und eine Abholung organisiert. Ich stelle meine Honorarnote. Fertig.
Jetzt überlegen Sie bitte nochmal: Das ist doch total einfach und kann gar nicht so lange dauern und warum ist Kalligrafie so teuer?!
“Jetzt wo ich weiß wie viel Arbeit da reinfließt, weiß ich Nataschas Kunst noch mehr zu schätzen.”
Alexander P.Kunde & Event Manager